Erschreckende Schatzgrube

Nachdem ich auf Twitter/X auf die Zeit des Nationalsozialismus (1933+) eingegangen war und in dem Zusammenhang darauf zu sprechen kam, inwieweit Transvestiten, wie sie damals genannt wurden, bedroht waren, bekam ich eine Privatnachricht: Ein User, der meine Aufklärungsarbeit im Bereich der Transgenderdebatte „toll“ fand, wie er schrieb, ließ mir den Hinweis für eine digitale Zeitschriften-Bibliothek zukommen, die mich auf Anhieb begeisterte.

Es war und ist eine Goldgrube, und das nicht nur für die Zeit des Zweiten Weltkrieges. Ich fand auch Unmengen an Zeitschriften aus dem 19. Jahrhundert, in denen über die Hysterie berichtet wurde. Was ich empfinde, ist – wie so oft – euphorische Wissbegierde und zugleich Schrecken über das real stattgefundene Grauen in der damaligen Zeit. Es ist für mich ein Unterschied, ob ich das Geschehen von einer historisch oder psychologisch ausgebildeten Fachperson erfahre, oder ob ich das, was zur damaligen Zeit berichtet wurde, im Original vor mir habe.

Gleich die erste Zeitung, die ich zu Gesicht bekam, ließ mich innehalten:

Ich zitiere:

„Es gibt eine angeborene, erbliche Anlage, die aber mehr in der Konstitution begründet liegt, während meistens die Hysterie ihren Ursprung in der Erziehung, namentlich in einer hysterischen Mutter hat 
und wohl eigentlich ein Erziehungsresultat ist, das nur durch Lebensweise und soziale Verhältnisse 
seine weitere Ausbildung findet. 

Sehr richtig spricht ein in der Pädagogik erfahrener Arzt: 
„Je weniger man die weiblichen Kinder übt, sich zu beherrschen, je ungemessener ihre Wünsche 
erfüllt werden, je mehr man ihnen gestattet, sich über ein zerbrochenes Spielzeug einer maßlosen 
Trauer hinzugeben, je mehr man die Ruthe spart, wenn sie sich bei einer getäuschten Hoffnung oder 
abgeschlagenen Erlaubnis ungebändigten Ausbrüchen der Leidenschaft hingeben, um so leichter 
werden sie später hysterisch. 
Übt man die Kinder zum Fleiß, zur Gewissenhaftigkeit, zur Selbstbeherrschung, lässt man 
heranwachsende Mädchen nicht den ganzen Tag bei sitzender Lebensweise stricken, Tapisserien 
nähen oder andere Arbeiten treiben, bei welchen sie ihren Gedanken, Empfindungen und 
Träumereien nachhängen können; bewahrt man sie vor schlechter Lektüre, durch welche sie 
überspannte Ideen bekommen, so schützt man sie am besten vor der Gefahr, hysterisch zu werden.“ 
Sächsische Dorfzeitung, Freitag, den 07.03.1879

Den gesamten Artikel poste ich auf einer Extraseite.

In diesem kurzen Absatz bekommt man einen Eindruck davon,

  • wie gewaltvoll Kinder erzogen,
  • wie sehr Frauen unterdrückt worden sind,
  • und dass die Hysterie ein Werkzeug der Unterdrückung für das Patriarchat gewesen ist.

Genau das zieht sich durch all die Jahrhunderte und genau darum ist es die Hysterie wert, weiterhin thematisiert zu werden, auch wenn man sie als Diagnose auszulöschen versucht.

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